Kunstkunst, Fluxus, Kunst als Antiwareware

Anti-Kunst, Nichtkunst, Kunst, Dada, Multiples, usw…, alle sind angetreten, um sich von der etablierten Kunst abzusetzen, die letztendlich seit der Renaissance ihren Charakter als Kult(kunst) verloren hat und über die Kunst(kunst) zur Ware verkam. Kunstgalerien lassen sich kaum noch von Geschäften unterscheiden, die höher bepreiste Waren anbieten.

Jedoch beißt sich die Katze gerne in den Schwanz und die Antikunst wurde, kaum in die Gallerie getragen, auch sofort zur Ware.

Walter Benjamins heute noch sehr aktueller Aufsatz, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt, 1970, beleuchtet die Veränderung soweit ich weiß als erster; die Fluxus-Künstler Allan Kaprow in Essays on the blurring of art and life, University of California Press, 2003 und Dick Higgins in seinem ersten Something Else Newsletter (in: Intermedia, Fluxus and the Something Else Press; New York, 2018) gehen dezidiert das Thema an mit dem Verweis auf die Vervielfältigungsmöglichkeiten ihrer Zeit, (Higgins) und eben der Problematik, was zu tun mit dem Objekt der Anti-art, der Nicht-kunst, wenn man doch Künstler ist und es damit automatisch zur Kunst wird. Kunst heißt hier aber noch nicht Ware.

Dem Damoklesschwert über dem Kunstwerk, daß es zur Ware wird, versuchten die Fluxuskünstler durch Multiples zu entkommen. Ich würde das als eine Art paradoxe Intervention bezeichnen: da jedes Kunstwerk zur Ware verkommen wird, wird es über die Schwelle der Galerie getragen, so macht man doch gleich Ware und benennt diese zur Kunst. Diese Idee war frappierend.

Noch mittendrin in dem Prozess der Hypervermarktung der Kunstwerke heutzutage, gilt es, hier weiterzuwirken: wir bieten alle Arbeiten zum Download an, inklusive Manuals, wie diese auszudrucken sind z.B., ob Texte, Buchblöcke von Skizzenbüchern, Fotos, Studioaufnahmen, usw… unter dem Format des copylefts: man darf diese weiterverabeiten, aber der Urheber muß stets mitangegeben werden (entlehnt aus der Open Source Bewegung: https://www.gnu.org/copyleft/).

Fluxus (lateinisch: fließen), von George Maciunas eingebracht, ist nicht vorbei, Fluxus ist mittendrin, Fluxus muß auch politisch verstanden werden. Wir sind mittendrin in einer den Freiheitsbegriff über den Besitz zu definierenden Gesellschaft; dem stellen wir die Kunst als immer und allen zur Verfügung stehenden geistiges Projekt mit seinen Erzeugnissen gegenüber. Ein Bild gehört nicht an die Wand, ein Bild gehört in den Kopf.

Waschzwang / Reinhaltung

Out, damn’d spot! out, I say! (Macbeth, Act 5, scene 1, 26–40)

wir suchen (wieder reingehaltene) Plätze auf, die politisch aufgeladen sind:

  • Derry / Londonderry, Lichtenhagen, Selma nach Montgomery (Alabama), Bologna? (Nord, Süd, Ost, West)

In entfernter Anlehnung an Allan Kaprows Happenings, die auch gleichzeitig an verschiedenen Orten stattfanden, drehen wir das Konstrukt des Happenings vor Ort um und zeigen die Orte gleichzeitig in einem Raum. Gefilmt im Heute, unterlegt mit Geräuschen von damals und heute und Sound … (Michael Gebendorfer, Kameramann).

Der Waschzwang der Gesellschaft in ihrer totalitären Ästhetisierung gestaltet sich als eine Reinhaltung der Gesellschaft. Wir waschen weißer als weiß (immer noch); black means guilty, wer die Reinhaltung stört, wird im sprachlichen Totalitarismus zum dreckigen Etwas, zum …schwein, zu Abschaum.

  • das Versagen der Demokratie vor dieser Gestaltung wird sichtbar
  • das Versagen der Zivilgesellschaft ist offensichtlich

es entstehen Editionen (CD / DVD und gefaltetes Poster mit Brieftexten / Bruchstücke daraus von P.o.W. der westlichen Demokratien; gelesen von Schauspielern der Münchener Kammerspiele und NY, Sound von Daniel Dorsch; print- sowie download-versionen zum Selbstausdrucken), Filme (DVD), Skizzenbücher (gedruckt, Skizzen im Original nicht sichtbar), Fotografien (in ungezählter Auflage zum Download; Stichwort: Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes)

Building-up Stabat Mater

alle : © Grossmanns Büro; * : aus: How the other lives, Jacob A. Riis, New York, 1971

Freiheit ! Nicht deren (oder: … nothing new under the sun …).

Der Ästhetisierung der Politik kann nur die Entästhetisierung der Kunst entgegengehalten werden. Unser hyperliberales System spricht sich vom politischen Sachzwang frei und gibt sich somit alternativlos, als notwendige Sache, somit als einzige Totalität, spricht dabei von (Gestaltungs)freiheit. Frei aber ist nur, der besitzt. Der Besitz wird zur Ersatzreligion in unserer säkularisierten Welt. Und die Freiheit durch den Besitz wird sauber gehalten mit einem neurotischen Waschzwang.

Mit der Entästhesierung des Kunstwerkes geht ihr Waren(Besitz)charakter (ihr säkularisierter bürgerlicher Kult) verloren. Die Zertrümmerung der Aura (Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1970, S. 19) liquidiert den bürgerlichen Kunstbegriff durch seine Reproduzierbarkeit. Die Zertrümmerung der Aura wird zur Signatur einer Wahrnehmung (a.a.O., S. 19), die Destruktion des Kunstbegriffes führt über in die gespiegelte Ästhetik der Politik. Wobei hier Reproduzierbarkeit mit austauschbar verwechselt wird, entideologisiert durch die Ideologie des Alternativlosen (a.a.O., S. 49). Es entsteht die ästhetische Utopie des kapitalistischen Totalitarismus (Martin Jürgens, in: Ästhetik und Gewalt, Gütersloh; 1970; S. 19).